Der türkische Innenminister Beşir Atalay hat einen neuen Anlauf zur Lösung der "Kurdischen-Frage" genommen. Zwar legte Atalay keine Einzelheiten vor, doch sein Aufruf "an alle Parteien" und die Hervorhebung eines "demokratisch-freiheitlichen Wegs" deuten auf ein 'verschärftes Tempo' auf eine 'endgültigen Lösung' des Konflikts hin. In der türkischen Presse wird Atalays, rhetorisch äußerst vorischtig vorgetragener, Vorstoß als "brainstorming" gewertet. Die Regierung erhoffe sich eine möglichst breitgefächerte öffentliche und produktive Diskussion, so der einhellige Kommentar der türkischen Zeitungen vom vergangenen Sonntag (29.07.2009).
'Indirekte Gespräche' der Türkei mit der PKK im Nordirak gingen dem jüngsten Anlauf voraus. Erst vor zwei Monaten hatte der bekannte Kolumnist Hasan Cemal das PKK-Hauptquartier in den Kandil-Bergen (Nordirak) besucht und sich eine Medien-Schelte von Seiten populistischer Kollegen eingehandelt. Auch wenn Hasan Cemal in seinen "Notizen aus dem Nordirak" beteuert er sei lediglich journalistisch unterwegs, so zeigt die aktuelle Entwicklung dass er 'im sicheren Boot' sitzt. Noch vor wenigen Jahren hätte ein solcher 'journalistischer Abstecher' zur PKK jedem türkischen Pressevertreter eine Anklage wegen "Propaganda für eine terroristische Organisation" eingebracht.
Reaktionen: Zustimmung bei den Liberalen und der DTP - Wut bei Nationalisten und Kemalisten
Zu seiner Pressekonferenz lud Innenminister Atalay, neben Cemal, gleich weitere 11 regierungsfreundliche Journalisten ein. Liberal-Demokratische Namen wie Oral Çalışlar, Cengiz Çandar, Fehmi Koru, Ali Bayramoğlu und Mümtaz’er Türköne gehören zu den einflußreichsten Meinungsmachern der Türkei. Gleichzeitig wurden Vertreter der Zeitungen "Hürriyet" und "Cumhuriyet" ausgeladen.
Das die genannten Journalisten bzw. regierungsfreundliche Presse nicht gerade eine 'zufällige' Rolle spielen zeigt auch die Reaktion des Vorsitzenden der MHP (Milliyetçi Hareket Partisi, Partei der Nationalistischen Bewegung), Devlet Bahçeli. In einer Rede bezeichnete Bahçeli die genannten Jounalisten als "12 böse Männer". Für aufsehen sorgte Bahçeli aber vor allem mit dem Satz, die MHP "könne für 50 Jahre in die Berge gehen". Damit spielte der Nationalist auf einen bewaffneten Kampf seiner Partei an, falls die Regierung sich mit der PKK an den Verhandlungstisch setzten sollte.
Der Regierungsvorstoß zur "Kurdischen-Frage" wird von der MHP und der CHP (Cumhuriyet Halk Partisi, Republikanische Volkspartei) vehement abgelehnt. Beide Parteien stemmen sich gegen jegliche Revision der nationalstaatlichen Struktur, wie sie für die moderne Türkei von Kemal Atatürk festgelegt wurde.
Besonders hervorzuheben ist der parteiübergreifende Aufruf Atalays. Damit wird zum erstenmal auch der politische Arm der PKK, die DTP (Demokratik Toplum Partisi, Partei der demokratischen Gesellschaft), an den Verhandlungstisch geladen. Die DTP kommentierte die Offerte der Regierung zunächst 'vorsichtig-optimistisch'. Während eines offiziellen Zusammentreffens mit dem Industriellenverband der Türkei (TÜSİAD) erklärte der DTP-Vorsitzende Ahmet Türk: "Die Erklärung von Herr Atalay ist äußerst wichtig. Wir sind grundsätzlich bereit die auf uns zukommende Verantwortung in dieser Sache auf uns zu nehmen und jede Hilfestellung zu leisten. Wir glauben das die jüngsten Verlautbarungen dem kurdischen Volk viel Hoffnung geben wird." Ahmet Türk verwies ebenfalls auf den "vorsichtigen und sensiblen" Sprachgebrauch des Innenministers hin und rief "zur Vernunft" auf.
Die DTP charakterisiert den Regierungs-Vorstoß als "gute Absichtserklärung" der aber "noch keine konkreten Projekte" aufweise. Ein besonderer Streitpunkt ist dabei die Forderung der DTP nach einer Beteiligung des inhaftierten ehemaligen PKK-Führers Abdullah Öcalan am Lösungsprozeß. Überraschenderweise kam aber gerade von Seiten Öcalans Kritik an der DTP.
Abdullah Öcalans Verweise und Hinweise
Öcalan, der zum 15. August einen eignen umfaßenden Beitrag zum Lösungsprozeß angekündigt hat, ließ über seine Anwälte folgendes verlautbaren: "Ich kann von hier aus keine Entscheidungen über die Guerilla treffen. Trotzdem schiebt jeder die Lösung des Problems auf mich ab. Ich habe keine Macht über diese Faktoren. Auch bin ich über vieles nicht unterrichtet, bekomme keine Nachrichten. Derartige soziale Prozesse entwickeln sich keineswegs über eine einzige Person. Vielmehr hängt die Entwicklung von vielen Faktoren ab. Dies muß gut erfaßt werden."
Die 'kryptische Worte' Öcalans deuten wieder einmal auf den schwellenden Konflikt innerhalb der PKK/DTP. Der ehemalige PKK-Führer beschwerte sich in den letzten Jahren immer wieder über die Strategie der PKK. Öcalan kritisiert vor allem die 'undurchsichtige' Verflechtung der im Nordirak in Stellung liegenden PKK mit dem us-amerikanischen Besatzungsregime im Irak. Während die PKK/DTP-Funktionäre auf eine 'Demokratisierung von Washingtons Gnaden' setzten, lehnt Öcalan jegliche imperialistische Intervention im Nahen Osten ab und fodert eine unabhängige Gesamtlösung durch die Regionalmächte (Türkei, Iran, Irak, Syrien unter Beteiligung der Kurden).
In diesem Sinne wären die "Faktoren" von denen Öcalan spricht die USA und die EU. Der Hegemonialanspruch des Westens zielt auf eine langfristige Kontrolle der Sicherheits- und Energiepolitik im nahöstlichen Großraum ab. Parallel dazu ist die Sicherheit Israels ein Hauptanliegen der westlichen Staatengemeinschaft.
Das an dem jüngsten Vorstoß der türkischen Regierung 'Faktoren' beteiligt sind, denen sich derzeit weder die Türkei noch die Kurden entziehen können ist Offenkundig. Nur zwei Wochen nach der Unterzeichnung des Vertrages zum Bau der Nabucco-Gaspipeline zwischen der Türkei und der EU, bemüht man sich um die Sicherheit des kostspieligen Projektes. Für die EU trägt die Gaspipeline eine große strategische Rolle.
Der Osten Anatoliens kommt deshalb als Kriegsschauplatz (Türkei vs PKK) nicht mehr in Frage. Auch die, im Rahmen des Nabucco-Projekts geplanten, Gaslieferungen aus den Kurdengebieten des Nordirak wären damit 'gesichert'.
Bericht: Deutsch-Türkische Nachrichten
Weitere Quellen:
Die türkisch-israelischen Beziehungen und die Kurden
"Nabucco", die Türkei, die EU und Obamas Geopolitik
Die PKK reicht der Türkei den Ölzweig
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