Wie die liberal-islamische Tageszeitung "Yeni Şafak" in ihrer Ausgabe vom 20. Juli berichtete, soll Doğu Perinçek, einer der Hauptangeklagten im Prozess um die türkische Gladio-Geheimorganisation Ergenekon, unter dem Codenamen "Agarta" (Agartha) einflußreiche alewitische Kreise für die Geheimorganisation angeworben bzw. rekrutiert haben.
Laut "Yeni Şafak"-Bericht, führte eine seit dem Jahr 2005 laufende Untersuchungen des türkischen Geheimdienstes MİT im Bezug auf illegale Machenschaften Armeeanhegörigen zur Aushebung einer Ergenekon-Zelle. Es habe sich herausgestellt, dass mindestens 20 ranghohe Offiziere einem illegalen Netzwerk angehörten, das von Doğu Perinçek ausgelegt wurde. Auf die Spur des aus mehreren Zellen bestehenden Netzwerks sei der türkische Geheimdienst durch langjährige Überwachung der Armeeoffiziere gekommen. Der Geheimdeinst habe schließlich seine Erkenntnisse dem türkischen Generalstab übermittelt.
Perinçek soll in den ostanatolischen Provinzen verstärkt auf Stammesführer und Großgrundbesitzer zugegangen sein. Im Bericht wird insebesondere der alewitische Balaban-Stamm aus der Erzincan-Dersim (Tunceli)-Region genannt. Unter anderem hätten sich Vertreter von Perinçeks İşçi Partisi (Arbeiterpartei) in einem alewitischen Gemeindehaus im Istanbuler Stadtteil Yenibosna getroffen. Die Alewiten gelten als besonders kemalistisch/verwestlicht und werden deshalb von säkularen und linksextremistischen Kräften gerne für ihre Zwecke eingespannt.
Den Kontakt der alewitischen Gemeinden zur Führungsebene um Perinçek sollen Oberst der Luftwaffe C.K., der alewitische Geschäftsmann İ.A., Mehmet Bora Perinçek (Sohn von Doğu Perinçek) sowie İlhan Yaşar Hacısalihoğlu vom national-kemalistischen Verein "Türkiyem Topluluğu" (Meine Türkei Gesellschaft) gewährleistet haben.
Zu den mittleren und unteren Rängen sollen auch Rekruten der Militärakademien und zivile Angestellte der Streitkräfte zählen. Zudem wurden Waffen innerhalb von Wohnanlagen für militärisches Personal gelagert.
Bei einer Hausdurchsuchung der İP-Parteizentrale am 22. März wurden Dokumente des türkischen Geheimdienstes mit dem dienstlichen Verweis "Streng geheim" über die genannten Ermittlungen um das Perinçek-Netzwerk aufgefunden. Wie diese Geheimdokumente an Perinçek gelangten sei "bislang unklar".
Ein Name stiftet Unruhe: Was ist eigentlich "Agarta"?
Türkischen Presseberichten zufolge würde der Begriff "Agarta" auch in der Hauptanklageschrift der Istanbuler Staatsanwaltschaft genannt werden und sei im allgemeinen ein Synonym für das türkische "Ergenekon".
Nach dem auftauchen des Begriffs "Agarta" in Bezug auf die türkische Gladio-Geheimorgnisation, wird in der Öffentlichkeit hitzig über den Sinn und Zweck einer solchen Verbindung diskutiert. Der Name "Agartha" bezeichnet eigentlich einen halb-mystischen Ort im hinduistisch-buddhistisch geprägten Mittelasien. Der Begriff wurde in moderner Zeit von vielen okkulten, esoterischen, neo-theosophischen sowie traditionalistischen Kreisen thematisiert und bezeichnet je nach ideologischer Ausrichtung etwa einen "Verlorenen Garten-Eden auf Erden", spirituelle Erleuchtung oder eine bestimmte chiliastische Heilserwartung.
Die meisten bisher bekannt gewordenen Ergenekon-Angehörigen stammen aus dem strikt säkular-materialistischen Umfeld der modernen Türkei. So ist beispielsweise der angesprochene Doğu Perinçek seit seiner Jugend bekennender Marxist-Leninist (mit maoistischer Ausrichtung) und Atheist. Neben der Meinung es handle sich bei der ganzen "Agarta-Geschichte" um einen propagandistischen Coup der regierenden (liberal-islamischen) AKP unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan um die neo-kemalistische Geheimorganisation in den Augen der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung weiter in Misskredit zu bringen, werden auch Stimmen laut die einen Bezug zu den frühen Jahren der pro-westlichen Republik unter der Diktatur M. Kemal Atatürks herstellen. Anfang der 1930er Jahre hatte sich M. Kemal Atatürk verstärkt mit neo-theosophischen Theorien beschäftigt. Besonders unter dem Einfluß des Neo-Theosophen James Churchward, der sich stark an den Lehren der Helena P. Blavatsky orientierte, stellte M. Kemal Atatürk die Behauptung auf, die "türkische Rasse" stamme vom untergegangenen Kontinent Mu und habe quasi jede Hochzivilisation in Eurasien begründet. Unter der sogenannten "Türk Tarih Tezi" (Türkische Geschichts These) wurde diese Behauptung in die offizielle Geschichtsschreibung der modernen Türkei aufgenommen. Dem großen Atatürk-Verehrer Dogu Perincek dürften diese Hintergründe jedoch sicher nicht unbekannt sein. Eine weitere Quelle solcher esoterischer Interessen könnten insbesondere Perinçeks Verbindungen zur Eurasischen Bewegung außerhalb der Türkei, besonders in Russland und den post-sowjetischen Nachfolgestaaten, sein.
Großes öffentliches Interesse an der Agarta-Diskussion - Aber wenig Fakten
"Agarta" hat jedenfalls in den letzten Tagen ein regelrechtes Okkult-Fieber in der Türkei ausgelöst. Fast alle Tageszeitungen berichteten umgehend im Besonderen über das Interesse M. Kemal Atatürks an der Agartha-Legende. Dies ist für die breite türkische Öffentlichkeit etwas völlig neues. Auch daran zu erkennen, dass sich die Medienvertreter größtenteils durch unseriöses und schlecht recherchiertes Nachrichtenmaterial bloßstellen. Von türkischen Tageszeitungen die mit der Ergenekon-Geheimorganisation sympathisieren wird suggeriert, die Istanbuler Staatsanwaltschaft würde tatsächlich eine Verbindung der Angeklagten zu "irgendwelchen geheimen Oberen aus Tibet" herstellen. In den Berichten dieser Kreise wird versucht damit den ganzen Prozess als "Unsinn" abzuqualifizieren.
Wie die Boulevard-Zeitung "Akşam" unter Berufung auf den bekannten Buch-Autor zu Themen der Esoterik, des Okkultismus und Geheimdienstmachenschaften, Aytunç Altındal, berichtete, habe M. Kemal Atatürk im Jahre 1936 eine türkische Delegation nach Indien entsandt um Nachforschungen über die Agartha-Legende anzustellen. "Zu welchen Schlüssen sie kamen; darüber müßte man heute genauer nachforschen.", so Aytunç Altındal gegenüber "Akşam".
Auch die Boulevard-Zeitung "Vatan" berichtete über Agartha, wobei sich der Bericht nur oberflächlich auf die Gründerin der Theosophischen Gesellschaft, Helena P. Blavatsky, konzentriert ("Diese Russin erfand Agartha!"). Im "Vatan"-Bericht ist dabei die Rede von zwei türkischen Indien- und Tibetexpeditionen zwischen den Jahren 1933 und 1936, die von M. Kemal Atatürk angeordnet und entsandt wurden. Die damaligen Forschungsberichte sollen sich in der Bibliothek des Anitkabir-Mausoleums befinden. Weiter wird in dem Bericht eine Parallele zwischen der sehr populären türkischen TV-Serie "Kurtlar Vadisi" (Tal der Wölfe) und den jüngst aufgeworfenen Fragen zu "Agarta" gezogen. Schon lange tritt in besagter TV-Serie eine "İhtiyarlar" (Die Altehrwürdigen bzw. Die Alten) genannte Geheimgesellschaft auf. Diese (türkische) Geheimgesellschaft fungiert (im TV-Szenario) seit jahrtausenden als eine Art überparteilicher Wächterrat des türkischen Staates. Neben dem schon erwähnten "Experten" Aytunç Altındal, wird auch der Historiker und Kolumnist Murat Bardakçı wie folgt zitiert: "Angeblich soll es zwei große Kontinente gegeben haben, die jedoch untergegangen sind. Der Eine ist Atlantis, der Andere dieser (Zitat unklar, wahrscheinlich wird der Kontinent Mu angesprochen?). Diese Kontinente versinken aufgrund von Naturkatastrophen, doch können sich die Weisen dieser Kontinente retten und schöpfen eine unter der Erdoberfläche liegende Zivilisation. Hitler soll Expeditionen nach Tibet gesandt haben. Es heißt der Dalai Lama stamme von dieser Rasse ab."
Bericht: Algabal
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