Montag, 28. Juli 2008

Betrachtungen zum Islam im Werk Friedrich Georg Jüngers

Von Yasin Alder, Bonn

Die vollkommene Schöpfung (1)

Friedrich Georg Jünger (1898-1977), der Bruder des Schriftstellers Ernst Jünger (1895-1998), stand, was ­seine Bekanntheit betrifft, immer ein wenig im Schatten seines älteren ­Bruders. Zwischen beiden Autoren und Denkern bestand allerdings ein äußerst inniges Verhältnis und ein gegenseitiger geistiger Austausch in beide Richtungen, den Ernst Jünger einmal mit einer Osmose verglichen hat. Das bekannteste Werk Friedrich Georg Jüngers ist sicherlich "Die Perfektion der Technik", das 1939 fertig gestellt wurde, jedoch erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs 1946 erschien. Es ist vergleichbar mit ähnlichen technikkritischen Werken von Adorno, Horkheimer oder Anders, und auch Martin Heidegger, der mit Friedrich Georg Jünger in persönlichem Kontakt stand, hat sich bei seiner Kritik an der Technik von diesem beeinflussen lassen. Das Buch nimmt viele spätere Entwicklungen vorweg und gilt neben der Kritik an der Technisierung als einer der frühesten Wegbereiter des Umweltschutzgedanke ns. Als Fortsetzung der "Perfektion der Technik" erscheint in den 60er Jahren "Die vollkommene Schöpfung", in der Jünger sich kritisch mit der Darwinschen Evolutionstheorie auseinandersetzt.

Friedrich Georg Jünger war nicht nur Essayist, sondern auch Lyriker und Verfasser von Erzählungen sowie Romanen. Gerade sein erzählerisches Werk lohnt auch heute, wiederentdeckt zu werden. Obwohl Friedrich Georg Jüngers spirituell eher im Glauben an eine "ewige Wiederkehr" verortet war, was weder Christentum noch Islam entspricht, finden sich in seinem erzählerischen und essayistischen Werk auch Bezüge zum Islam und der islamischen Welt. In dem 1948 erschienenen Sammelband "Orient und Okzident" finden sich unter dem Titel "Persische Dichter" drei Abhandlungen über Omar Khajjam, Sa'di und Hafis, aus denen hervorgeht, dass Jünger sich sehr eingehend mit den drei Autoren auseinandergesetzt hat. Zudem gibt es auch einen Text über die "Geschichten aus Tausendundeiner Nacht".

Geschichten aus 1001 Nacht

Darin stellt Jünger bereits zu Beginn zutreffend fest: "Es gibt im Islam kein Drama, und auch die Geschichten aus Tausenundeiner Nacht haben nichts Tragisches und Dramatisches. In ihnen sind keine antiken Masken wie Ödipus oder Antigone zu finden, keine Charaktere, die im Konflikt mit sich selbst und der Welt zugrunde gehen, wie Richard III., Hamlet oder Lear. Auf die Darstellung des tragischen Konflikts und seine genaue Motivierung wird keine Mühe verwandt." Alle Aufmerksamkeit wende sich vielmehr dem Glück und Unglück zu, das der Mensch hat, und das über die Welt wie ein Goldregen ausgestreut sei, das den einen treffe, den anderen verfehle und das sich nicht motivieren lasse.

In den Geschichten aus Tausenundeiner Nacht, so Jünger, gelte das Interesse nicht den einzelnen Figuren, die gar keine Individualität oder Persönlichkeit besäßen, sondern den Personen als Trägern "eines merkwürdigen, bis zum Wunderbaren gehenden Kismets. Es ist, als ob in die Kette des Webstuhls bunte Fäden einschießen, als ob sich unter der Hand des unsichtbaren Webers Figuren bilden." Dem Leser werde deutlich, "wie Reich an Mitteln das Kismet ist, um die gleiche Wirkung hervorzubringen." Die Reihung, gleich Perle und Schnur, kehre bei den orientalischen Dichtern immer wieder: "Die Perle entgeht der Schnur nicht, das heißt einer Ordnung, in der von jeher alles eingefädelt und vorbestimmt ist." Sindbad als Muslim wisse, dass er nicht selbst Schöpfer und Schaffender ist, sondern dem Kismet unterworfen bleibe. Diese Welt sei zudem so eingerichtet, dass sie aller Psychologie entbehren könne, weswegen diese auch in den Geschichten völlig fehle. "Für Sindbad ist das Glück eins mit Allahs Gnade, und Glücks- und Gnadenwelt fallen in seiner Vorstellung zusammen." Damit trifft der Autor sehr anschaulich die islamische Haltung, dass nichts ohne den Willen Allahs geschieht und nichts von Ihm unabhängig ist. Zutreffend schreibt Jünger: "Sie entscheiden nichts, denn es ist über sie schon entschieden worden. Und es gibt keinen Widerspruch zwischen ihnen und ihrer Bestimmung; ein solcher Widerspruch hat überhaupt keinen Ort, an dem er auftreten könnte. Scharfsinnige Berechnungen und kunstvolle Sprünge können den Menschen dieser Bestimmung nicht entfremden", und an anderer Stelle: "…denn auch das, was zufällig scheint, ist vorgesehen".

In seinem Verständnis der Bestimmung im Islam, die Jünger freilich wie viele andere europäische Denker seiner Zeit eher als statischen "Fatalismus" versteht, erkennt er nicht das nicht-statische, dynamische Element, dass der Muslim trotz der Vorherbestimmung angehalten ist, durch gute Taten Allahs Wohlgefallen zu erlangen und durch die Bestimmung nicht dem eigenen Handeln und der Verantwortung dafür entbunden ist.

Interessant sind auch seine Beobachtungen zur arabischen Sprache: "Hier ruht alles auf Anschauung, und die Folge der Gedanken, ihr Zusammenhang schreitet von Bild zu Bild, von Vergleich zu Vergleich fort. Das Lebensvolle, Kräftige, ursprünglich Große einer solchen Sprache, deren Bilder etwas Niedriges haben, da sie den gemeinen Tagesverrichtungen entnommen sind, mutet uns seltsam an, wenn wir sie mit der abstrakten, toten, juristisch genauen Sprache unserer hohen Verwaltungsbeamten vergleichen." Jünger lobt den Reichtum des Arabischen und erwähnt die große Rolle, die diese Sprache wie auch die Dichtung in allen Lebensverhältnissen spielen. Erstaunlich seine zusammenfassende Einschätzung der Geschichten aus 1001 Nacht, diese könne auch den Titel tragen: "Geschichten von der Allmacht und Allbarmherzigkeit Gottes." Viele der Geschichten seien dem Qur'an "gleichsam herausgesponnen, und es gibt wenige, die nicht einen Bezug auf ihn haben."

"Ein reiner und harter Gottesbegriff ist über ihnen ausgespannt wie der wolkenlose Himmel über der Wüste. 'Ich höre und gehorche!' 'Allah ist Allah!' 'Es gibt keine Macht und keine Kraft außer Gott!'. Diese Allmacht würde den Menschen, der ihr allein gegenübergestellt wäre, niederwerfen und vernichten, er könnte vor ihr nicht bestehen, wenn sie nicht ausgewogen wäre durch die Allbarmherzigkeit Gottes, die jedem Menschen das Tor des Brotes öffnet, ihn schützt und erhält und seinen Weg bis zum Ende bestimmt und sichert. Allmacht und Allbarmherzigkeit sind Waagschalen, die im Gleichgewicht stehen", schreibt Friedrich Georg Jünger.

Und ans Ende des Textes stellte Jünger den bemerkenswerten Satz: "Unduldsam wie alle Offenbarungsreligionen, die nicht nur am Geist, sondern auch am Buchstaben der heiligen Texte festhalten, konnte der Islam wie die anderen dem großen Schisma nicht entgehen und nicht den Sonderungen, welche die Sektierer aufbrachten. Doch steht er nach über zwölfhundert Jahren der Wirksamkeit als mächtiger, unversehrter Baum da, der immer grünt und stets frische Zweige hervorbringt."

Persische Dichter

Während die Abhandlungen über Omar Khajjam und Hafis etwas darunter leiden, dass Jünger die Bilder des Weines und des Weintrinkens in deren Versen ausschließlich wörtlich nimmt und viele seiner Ausführungen und Folgerungen darauf aufbaut, finden sich auch hier viele interessante und zutreffende Beobachtungen über die muslimische Lebenshaltung, wie zum Beispiel über den Augenblick: "Es nützt dem Menschen nichts, daß er die Zukunft zu erkunden sucht und das Vergangene betrauert, denn Zukunft und Vergangenheit gelten gegenüber der Gegenwart, in der allein der Mensch wirklich lebt, keinen Pfennig." Nach einer weiteren, eher düsteren, statischen Darstellung des "Fatalismus", findet sich andererseits die überraschende Anmerkung: „Wird ein Mensch von großer, willensmäßiger Kraft dadurch schwächer, daß er sich ganz als Werkzeug einer undurchdringlichen, höheren Macht fühlt? Es fehlt nicht an Beispielen, daß er daraus ungemeine Kräfte zieht." An anderer Stelle schreibt er über den Fatalismus, dass man mit diesem "sehr zu Unrecht ... oft die Vorstellung einer gewissen Trägheit und Willensschwäche verbindet, denn er berührt den Willen gar nicht". Interessant ist auch, was Jünger, ebenfalls im Text über Omar Khajjam, über die Nafs und das Streben, durch Entwerden vom Selbst Allah und Seine Einheit zu erkennen und Ihm näher zu sein, schreibt: "…läßt sich mit dem Glauben an die Vernichtung der Individualitä t verbinden, denn in der Einheit geht das Selbstbewußtsein unter und mit ihm aller Schmerz und alle Lust, die nur an ihm haften." Ähnlich heißt es in der Abhandlung über Hafis: "Der Ort, an dem wir uns hier befinden, ist ein Ort der Trennung, deshalb währt auch der Schmerz immerdar, und dieser Schmerz ist ein kostbarer Besitz; ihn hegen, heißt lieben, sich dem Einen nähern. Er ist das Zaumseil, das aus dem Exil ins Vaterland führt." Auch dass unsere Wahrnehmung der Welt nicht alle Dimensionen umfasst und trügerisch sein kann, wie ein Traum, aus dem man mit dem Tod erwacht und mit dem die wirkliche Realität beginnt, findet sich in Jüngers Ausführungen.

Im Text über Sa'di stellt Jünger fest, dass dieser ebenso Lehrer wie Dichter sei, und dass, anders als im Okzident, Dichtung und Lehre nicht voneinander getrennt seien. "Dichter im Sinne der antiken Dichter, an denen wir uns gebildet und geübt haben, gibt es im Orient nicht. Hier ist das Verhältnis von Dichter und Lehrer enger, da ein genauer Bezug zwischen Leben, Lehre und Dichtung besteht. (…) Was den Islam vom Christentum unterscheidet, ist auch die nahtlose Verbindung, die zwischen der Religion und allen Lebensverhältnissen waltet." Über das Christentum findet sich einige Zeilen weiter auch die folgende Aussage: "Der Atheismus, der im Christentum ein Endprodukt ist, nämlich selbst noch eine christliche Position, die durch Negation bezeichnet wird, ist im Islam schwer zu denken, weil er hier etwas Unsinniges gewinnt." Denn eben durch das Fehlen oben genannter Trennung könne sich auch die Skepsis nicht so entfalten, dass sie sich gegen die Religion auf den Staat stütze.

Quelle: Islamische Zeitung

Biographie Friedrich Georg Jüngers

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